Samstag, 28. April 2018

Friedrich Nietzsche - Popstar der Atheisten auf Gottsuche

Der Umwerter aller Werte (und Bärte) im Rad
der ewigen Wiederkehr des Gleichen.
Wir kennen alle den plakativen minimalistischen Satz des deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche (1844-1900): "Gott ist tot!" Atheisten tragen diesen seither vor sich her, stets im Bewusstsein, welch Provokation diese 3 Wörter wenigstens bis vor einigen Jahren noch darstellten. 

Nietzsche ist den Atheisten ein Stichwortgeber - für Weniges eignet er sich auch vordergründig noch besser, als einen Ein- oder Zweiteiler von hohem Klang abzusondern. So verfiel auch ich diesem Geist in jungen Jahren, in den Bann gezogen von der Macht des Wortes, nicht zuletzt von der Selbstüberhöhung ("Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit", in der ich mich wiederfand. Geplagt von den alten Fragen der Theodizee kam auch zur vermeintlichen Gewissheit: "Gott ist tot!" Nein, ich machte daraus ein: "Niemals existierte er."

Der von den Nationalsozialisten vereinnahmte (oder haben sie ihn konsequent geschlussfolgert?) Denker wurde in ein sehr religiöses Umfeld geboren, stammte aus einer Pastorenfamilie und wollte wenig überraschend als Kind selbst Geistlicher werden. Angemerkt sei, dass er letztlich in einem reinen Frauenhaushalt aufgewachsen ist, sein Vater sowie ein jüngerer Bruder verstarben früh. Es ist nicht abwegig, davon auszugehen, dass dies nicht nur seine Sicht auf Frauen geprägt hat. Die Frau sei schön und klug, wäre aber viel klüger, wäre sie weniger schön, schrieb er.

Noch aus dem Jahr 1863/64 (er war also rund 20 Jahre alt, bestand etwa zu dieser Zeit das Abitur mit besten Noten außer in Mathematik) stammt diese 3. Strophe des Gedichtes "Dem unbekannten Gott":
Ich will dich kennen, Unbekannter
Du tief in meine Seele Greifender
Mein Leben wie ein Sturm Durchschweifender
Du Unfaßbarer, mir Verwandter!
Ich will dich kennen, selbst dir dienen.

"Flamme bin ich sicherlich!"
Größenwahn unverkennbar, doch auch die
Attraktivität seiner Sprache kann nicht
geleugnet werden.
Im Wintersemester 1864/65 begann er das Studium der Philologie und der evangelischen Theologie. So wie er seine Burschenschaft nach 1 Jahr bereits wieder verließ, brach er das Theologiestudium ebenso rasch ab. Es zeigte sich in der Vertiefung in Schopenhauer, aber auch (Links- bzw. Jung-)Hegelianer wie Strauß und Feuerbach nun eine Kehrtwende. Auf den Pessimismus eines Schopenhauer aufbauend, auf die Religionskritik der Linkshegelianer und nicht zuletzt auch auf den Zeitgeist (Darwin, On the Origin of Species by Means of natural Selections, 1856) entwickelte er ein Gedankengebäude, das auf Härte, Entwicklung und Fortschritt, Vergöttlichung des Menschen in Form des zu erreichenden Übermenschen (auch durch Zuchtwahl, Darwin bzw. Vorgänger wie Lamarck müssen in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden) und - hier hebt er sich von geistig ähnlich Gelagerten ab - Ablehnung des Sozialismus setzte. Die Sozialisten sah er als niedrige Menschen an, interessanterweise ist mir aber keine Aussage zu Karl Marx von ihm geläufig. 

Sich selbst sah er als adeliger polnischer Herkunft an, wofür es keine Beweise gibt. Sein Verhältnis zum Deutschtum war ambivalent, etliche Aussagen müssen den Nationalsozialisten missfallen haben. Sein Einsetzen für die Zuchtauswahl (so verabscheute er auch grundsätzlich die Liebesehe) sowie seine Rassegedanken hingegen dürften dies ausgeglichen haben, wenn er etwa rassisch Gemischten eine Disharmonie in Aussehen und Geist diagnostiziert (so in der Morgenröte, 4. Buch) und zitiert im Anschluss den Spruch, Gott schuf die Rassen, der Teufel aber die Halbrassen. In den antiken Griechen sah er in jeder Hinsicht Vorbilder, in gesamten Kultur, sie gaben uns aber auch "das Muster einer reingewordenen Rasse und Kultur: und hoffentlich gelingt einmal auch eine reine europäische Rase und Kultur". (Morgenröte, 4. Buch).

Seine Biographie war für ihn wie vielleicht überwiegend auch für uns von wohl kaum vorstellbarer Bedeutung für die Entwicklung seines Denkens. Von Kindheit an von schwacher Konstitution schien er sich von allem, was Kränklich war oder von ihm so gesehen wurde, distanzieren zu wollen; von allem, was Mitleid erregte oder zeigte. Konsequenterweise war damit der Abschied vom Christentum besiegelt.

Griffbereit im Bücherregal: Nietzsches Werke
in zwei Bänden
Seine Abkehr sieht er im fundamental damit begründet, dass Gott das Denken verbiete (Ecce Homo, Warum ich so klug bin). Gott sei "eine faustgrobe Antwort, eine Undelikatesse gegen uns Denker - im Grunde sogar bloß ein faustgrobes Verbot an uns: ihr sollt nicht denken!" Es überrascht mich selbst wenig, zu erfahren, wen Nietzsche selbst verehrt hat, es ist wohl kein Zufall, dass es auch die geistigen Helden meiner Jugend sind: Heinrich Heine ("Man wird einmal sagen, daß Heine und ich bei weitem die ersten Artisten der deutschen Sprache gewesen sind - in einer unausrechenbaren Entfernung von allem, was bloße Deutsche mit ihr gemacht haben", was für ein Seitenhieb!) oder auch Lord Byron. Sprachgewaltige Bohemes, revolutionär, schwankend zwischen dem Edlen und dem Dekadenten, folgerichtig verwickelt in amouröse Abenteuer, wobei (vermutlich) die Syphilis dort (Heine) wie da (Nietzsche) nicht ausgeblieben ist.

Empfehlung zur Sekundärliteratur gefällig?
Werner Ross, Der ängstliche Adler.
Friedrich Nietzsches Leben
Der mächtige Schnauzbart auf 800 Seiten.
Ohne Promotion und vor seiner Habilitation folgte er 24-jährig dem Ruf der Universität Basel, um Professor zu werden. Er pflegte Kontakt zu Franz, Overbeck, Jakob Burkhard, Richard Wagner und dessen Frau Cosima. Aus der Distanz beobachtete er skeptisch die Entwicklung in Deutschland mit der Gründung des Reiches. Sein gesundheitlicher Zustand ließ ihn 1879 auf die Suche nach dem passenden Ort für seinen Körper begeben, er lebte fortan als freier Autor bis zu seinem nervlichen und körperlichen Zusammenbruch 10 Jahre später, der ihn zu einem Pflegefall machte.

Geblieben ist die Kraft eines ungezähmten Geistes, geblieben sind viele Seiten, die meisten davon lesenswert, zudem das Manuskript zum "Willen zur Macht". Friedrich Nietzsches Gedanken waren sehr umfassend, verließen oft die akademisch-philosophischen Wege und sind deswegen wohl auch so attraktiv, verwehrten ihm aber zugleich lange Zeit, vielleicht gar bis heute, die Anerkennung aus dem akademischen Elfenbeinturm.

Bei allem, was er zu bieten hatte, ist seine Religionskritik doch das Greifbarste. Verbunden mit seiner Biographie zeigt diese aber einen Menschen im Ringen mit sich selbst, welches er zu einem Ringen mit Gott wandelte. Seine Ablehnung war ihm nicht so ein Genuss wie vielen, die ihm folgen. Sein bekanntester Ausspruch "Gott ist tot!" ist nicht nur so dahingeschrieben, sondern eingehüllt in Sätze, die die daraus folgende Krisis spüren lassen. Der "tolle Mensch" (im veralteten Wortsinn von psychotisch auffallend) verkündet Gottes Tod und benennt alle Umstehen und sich als schuldig. 

"Wir alle sind seine Mörder! [...] Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? [...] Was taten wir, als wir diese Erde von der Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? [...] Stürzen wir nicht fortwährend? [...] Müssen nicht Laternen am Vormittag angezündet werden? [...] Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung? [...] Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unseren Messern verblutet. [...]" (Die fröhliche Wissenschaft, drittes Buch)

Der Gottesmord als Katastrophe! Wahrheit kam ins Wanken, das Licht war erloschen, die Menschen taumeln. Das erinnert uns doch besonders an die heutige Zeit, als wir es mit immer mehr Zeitgenossen zu tun haben, die das Messer in den Rücken des Vaters stoßen. Welchen Scharlatanen sie dann hinterherlaufen! Welch abstruse Ideen sie für bare Münze nehmen, nachdem sie sich vom angeblichen Aberglauben befreit haben. Nietzsche wusste, was auf die Gottlosen zukommt. Er war sich bewusst, welche Herausforderungen damit verbunden sind, und seine Vorstellung vom Übermenschen, den es zu erzeugen gilt ("Nicht fort sollt ihr euch entwickeln, sondern hinauf!"), war, dass dieser die Umwertung der Werte mitsamt der Entsagung an Gott sowie die Erkenntnis des Rades der ewigen Wiederkehr zu verkraften weiß! Doch weder kommen die Menschen damit auf Erden zurecht noch wird es ihnen Erlösung bringen.Vielleicht ist auch Nietzsche daran zerbrochen.


Vielleicht gibt uns der Philosoph selbst den besten Tipp, wie wir mit ihm umgehen sollen:
Vademecum - Vadetecum

Es lockt dich meine Art und Sprach´
Du folgest mir, du gehst mir nach?
Geh nur dir selber treulich nach:
So folgst du mir - gemach! gemach!

Immer wieder wird, so auch von Nietzsche, die Wissenschaft als mit dem Glauben unvereinbar hingestellt. Das ist eine falsche Annahme: Ja, ein wenig Wissen führt vom Glauben weg. Doch viel Wissen führt zu einem tieferen Verständnis des Göttlichen. Nietzsche zu lesen ist empfehlenswert, es sind spannende Gedanken, es sind auch Wahrheiten enthalten, doch sollte man es sehen, wie mit Wein: 1 Gläschen gelegentlich ist gesund, die tägliche Flasche ein Problem.

So wünsche ich dir ein schönes (vielleicht verlängertes) Wochenende mit dem nahenden Feiertag am Dienstag, den die Fleißigen und Anständigen ja mehr als verdient haben! 









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