Freitag, 20. September 2019

Österreich wählt den Nationalrat: Parteien-Check plus Prognose

Die letzte Umfrage vor der Wahl. 
Auch schon genug vom Wahlkampf? Wer kann unsere Geistesriesen und Saubermänner noch sehen und hören, die in einem medialen Overkill tagein, tagaus ihre Fratzen der Kameralinse entgegenstrecken.

So viel wird gesagt, doch an Inhalt herrscht Mangel. Wo sind die großen Themen, wo die großen Visionen? Gegenseitiges Anpatzen und Kleinlichkeiten dominieren. 

Wie läuft der Wahlkampf für die Parteien? Welche Prognose gibt Dreifalt ab? Und die wichtigste Frage: Welche Parteien werden sich zu einer Koalition zusammenfinden? Ist Türkis-Blau ausgemachte Sache, wie nicht wenige Linke mutmaßen? Oder kommt gar etwas ganz Neos Neues? 

Die Parteien im Check + Prognose


Die ÖVP: Wie stark wird sie wirklich?

Für die ÖVP gilt es als fix: Ein Zugewinn an Wählerzuspruch ist allen Umfragen zufolge klare Sache. Die mitunter in Erinnerung an Wolfgang Schüssels Coup von 2002 angepeilten 40 % werden es wohl nicht werden. Die Umfragen liegen durch die Bank (welchen Wert haben eigentlich die tatsächlichen Rohdaten solcher Umfragen, wenn am Ende bei überschaubarem Sample alle Umfrageinstitute auf fast idente Vorhersagen kommen?) um die 35 %, zuletzt bei 34 %. Thematisch bietet man nicht viel außer den Spitzenkandidaten an sich. Gerüchte über dessen Drogenkonsum sind im Umlauf, aber haltlos. Die ÖVP macht im Wahlkampf nichts falsch – aber auch nichts richtig. Man verlässt sich auf gute Umfragewerte, geht risikolos durch die Wochen und erntet. Wie viel?

Prognose: 36,5 %

Die SPÖ: Ist für die Sozialdemokraten Hopfen und Malz verloren?

Die SPÖ tritt aktuell dezidiert für das
Ausländerwahlrecht auf Kommunalebene ein.
 Klug?
Während die ÖVP vorsichtig-unaufgeregt bloß die Zeit bis zur Wahl abzusitzen scheint, tappt die SPÖ populistisch von einem Fettnäpfchen ins andere. Unmengen müssen in die Werbung etwa auf Facebook fließen, werde ich dort doch permanent mit bezahlter SPÖ-Werbung konfrontiert. Täglich eine neue Forderung, ein neues Versprechen. Alles, was die Sozialdemokraten in ihrer Verantwortung als Kanzlerpartei nicht geschafft haben, wollen sie nun zustande bringen. Bis hin zu 1.700 Euro Mindestlohn – netto! Das kann sich nicht ausgehen, sondern würde etliche Betriebe in den Ruin führen. Die Menschen lassen sich offenbar auch nicht blenden, so darf der Wahlkampf als verhaut bezeichnet werden. Pamela Rendi-Wagner wird sich schwer an der Spitze der Partei halten können, wenn es die zu erwartende Klatsche geben wird. Es herrscht gar Angst, nur Dritter zu werden. Wie schlimm wird es?

Prognose: 22 %

Die FPÖ: Kann Norbert Hofer für die Freiheitlichen über 20 % holen?

Vermeintlich am schwersten hat es die FPÖ in diesem Wahlkampf. "Ibiza", Ende der Koalition, das angebliche Zugpferd der letzten Jahre in Politpension/Politkarenz. Die Umfragen sagen einen leichten Verlust voraus, doch katastrophal sieht anders aus. Mit Norbert Hofer stellt sich die Partei letztlich auch in der Außendarstellung neu auf. Weniger hart, weniger laut. Dass Hofer zieht, wissen wir seit den Präsidentschaftswahlen, wo er im 1. Wahlgang das mit Abstand beste Ergebnis der FPÖ aller Zeiten auf Bundesebene einfuhr. Diesmal wird er sein Potenzial wohl nicht ganz ausschöpfen können, mittelfristig ist mit der FPÖ auch wieder in anderen Sphären zu rechnen. Das Wunschdenken der Journalisten, dass eine Spaltung ins Haus stehe, muss als Fantasterei abgetan werden. Ob die Nibelungentreue gegenüber der ÖVP beim Wähler ankommt, sei dahingestellt. Umfragen halten an die 20 % für wahrscheinlich. Wie blau wird man nach Ibiza sein?

Prognose: 22 %

NEOS: Hochgeschrieben oder wirklich möglicherweise zweistellig?

NEOS scheint wie ein Versuchsballon, wie österreichfeindlich man auftreten darf und immer noch gewählt zu werden. Die Sehnsucht, den Staat in der EU aufgehen zu lassen, wird klar artikuliert, selbstverständlich ist auch die Forderung nach einer EU-Armee zu finden. Die Jugend scheint sich davon angesprochen zu fühlen, die Gehirnwäsche an den Schulen und in den Medien trägt Früchte. Ein nunmehr präsentiertes "Zukunftskomitee" mit etwas über 40 "Prominenten" (wirklich bekannt ist da kaum jemand) wirkt hingegen wie ein Komitee der Vergangenheit. Gescheiterte, Abgehalfterte, Rachsüchtige tummeln sich hinter dem Freimaurer Haselsteiner, der auch Geldgeber ist. Darunter der Besitzer der Modekette "Fussl", der fordert, dass die Arbeitnehmer mehr Geld durch weniger Abgaben haben sollen. Wird die Ausländerpolitik, die NEOS propagiert, umgesetzt, wird man hingegen jeden Euro der Arbeitenden brauchen, um den Zuzug ins Sozialsystem weiter finanzieren zu können. Wie viele geben ihrer Stimme der Logenarbeit?

Prognose: 7 %

Jetzt – Liste Pilz: Jetzt oder nie (mehr)?

Die Liste Pilz wird den Einzug in den Nationalrat verfehlen. Mit der Prognose verrät man wahrlich nichts Neues, wenn auch die Umfragewerte zuletzt zulegten. Inhaltlich unklar, unter Druck der wieder zurückkehrenden Grünen und letztlich aufgrund der Probleme um den Listengründer Peter Pilz selbst wird die große Überraschung diesmal ausbleiben. Zu schwach ist auch die Hintermannschaft, wobei dieses Problem auch die Grünen trifft. Zuletzt fokussierte sich Pilz ganz darauf, dass islamische hasspredigende Imame im Land bleiben durften, während "gut Deutsch sprechende, gut integrierte, arbeitende Asylwerber" abgeschoben worden seien. Beide Gruppen werden wohl in der Größenordnung von maximal einem Dutzend zu finden sein. Ein Nichtthema. Wie nichtig wird Jetzt?

Prognose: 1 %

Die Grünen: Können die verlorenen Schafe der letzten Wahl zurückgeholt werden?

3. Juli 2017: Hier war es bereits zu lesen.
2017 sagte Dreifalt den Grünen als Erster und einer der Wenigen oder gar Einziger bereits über 3 Monate vor der Wahl den Absturz unter die 4%-Hürde voraus. Diesmal kehren sie zurück. Ganz so fulminant, wie phasenweise publiziert, wird es wohl nicht werden. Das alte Schlachtross Werner Kogler legte seine Wähler im Zuge der EU-Parlamentswahlen rein und nahm als Spitzenkandidat das Mandat nicht an. Stattdessen ist er nun auch im NR-Wahlkampf an vorderster Stelle und macht die Sache einigermaßen souverän, ohne zu glänzen. Letztlich war ihm im Wahlkampf wirklich nichts zu dumm, sodass es auch Momente des Fremdschämens gab. Mit 57 muss man sich nicht mehr zum Affen machen. Thematisch nichts, was mehr als ehemalige Grün-Wähler bringen wird. Diese wird es auch nicht weiter stören, dass Skandale in Wien bzgl. Korruption nun auch die Grünen erreichen oder Karl Öllinger wegen übler Nachrede, mit der er in antifaschistischem Wahn einen jungen Mann zu Unrecht als Nazi darstellte, verurteilt wurde. Es grünt: aber wie sehr?

Prognose: 10 %

Alle anderen: Hat eine Kleinstpartei Chancen, oder sind wenigstens Achtungserfolge möglich? 

Diverse Obskuranten, dem Wahnsinn Anheimgefallene, Idealisten, ewige Sektierer, unbelehrbare Kommunisten, wahre Patrioten und was es noch an zum Teil nur bundesländerweise antretenden Listen gibt, wird kein größerer Erfolg beschieden sein, als etwas mehr Wähler als Verwandte zu haben.

Prognose: gesamt 1,5 %


Welche Regierung kommt auf uns zu?


Die Rechten hätten sich nach linken Vorstellungen längst im Stillen erneut zusammengetan. Gar der Faschismus stehe damit vor der Tür, wie ein zu Recht wenig bekannter Theaterintendant verlautbaren ließ. Schwarz-Rot wird selten genannt, diese Option ist grundsätzlich eine bequeme, aber nicht sonderlich beliebt. Beliebter wäre da eine Neuauflage von Schwarz-Blau, jener Koalition, die nach wie vor in Umfragen beständig am besten abschneidet. 

Doch spricht wenig dafür, dass Sebastian Kurz sich am Aufräumen der Scherben, die er zu verantworten hat, beteiligen würde. Ganz der Paartherapie-Werbung entsprechend, die die FPÖ ausstrahlen lässt, müssten beide Seiten so einiges beitragen, um stabil regieren zu können. Mit antidemokratischen Forderungen wie jener, die Identitären als Verein verbieten zu wollen, wird man viele in der FPÖ nicht zuletzt aufgrund der Historie (Stichwort: 1848 und Vereinsrecht) vor den Kopf stoßen. 

Rot und Blau wäre eine reizvolle Konstellation. Rein rechnerisch wird es unmöglich, zudem sind die Linken in der SPÖ in dieser Frage ähnlich bewegungsfreudig wie ein Betonblock.

Eine Variante, die überraschend offen – wenigstens medial – thematisiert wird, wäre eine Zusammenarbeit der ÖVP mit den Grünen oder mit NEOS bzw., weil wohl rechnerisch notwendig, mit beiden. Diese biedern sich auch um nichts weniger als die FPÖ an, um Ministerposten für sich zu ergattern. Selbstverständlich wäre das eine funktionstüchtige Regierung: Man einigt sich auf viiiiel "Humanitäres" im Fremdenrecht, verbunden mit sozialrechtlichen und arbeitnehmerrechtlichen Verschlechterungen für die einheimische Bevölkerung. Irgendwo muss das Geld herkommen, und die ÖVP war und ist nicht unbedingt die Partei der sozialen Wärme. Im Kuhhandel mit offenen Grenzen werden alle Seiten befriedigt. Ein neuer Ansturm ist auf dem Weg, nicht, dass er jemals ganz abgebrochen wäre. Mit den Grünen und NEOS in einer Regierung mit dem wankelmütigen Sebastian Kurz blüht Österreich so einiges. Wer wird also die nächste Regierung bilden?

Prognose: Die ÖVP wird es binnen kürzester Zeit mit so gut wie allen versucht haben bzw. versuchen. Nach der SPÖ und der FPÖ kommen nun Grüne und NEOS zu Ministerehren.



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