Mittwoch, 5. April 2017

Die Ketzer – Teil 1: Am Anfang stand Paulus

Wer ist ein Ketzer und was ist Ketzerei?


Wir wollen den Blick, vermutlich erwartungsgemäß, auf die Geschichte der christlichen Häresie werfen. Häresie, Ketzerei, Irrlehre und Heterodoxie sind Synonyme, die jedoch allesamt eine mehr oder weniger stark wertende ablehnende Intention in ihrer Wortbedeutung haben. Ich möchte in dieser Reihe aus Gründen der Einfachheit vornehmlich die Begriffe Häresie/Häretiker, Ketzerei/Ketzer sowie Abweichler gebrauchen und möchte dies als wertneutral vermerkt wissen. Auf den Begriff Irrlehre verzichte ich, weil es für uns im Deutschen die eindeutigste Wertung darstellt, und ich persönlich dann auch etwa den Katholizismus als solche bezeichnen müsste. Die Begriffe sind mitunter aus ihrer Zeit heraus zu verstehen und auch dieser heraus geboren. Vor allem der "Ketzer", der sich von den Katharern (von denen noch ausführlich die Rede sein wird) ableitet, ist überwiegend in einem bestimmten historischen Abschnitt anzutreffen. Heute begegnet er uns noch am ehesten im Horrorgenre.

Ein Häretiker ist jemand, der theologisch im Widerspruch zur kirchlichen Autorität steht. Was macht diese Autorität aus? Ich sehe die Kriterien Macht und Einfluss, Möglichkeit der umfassenden theologischen Ausgestaltung, Zahl der Anhänger sowie die Berufung auf die Tradition als maßgeblich an. Das ist für uns weitgehend die römische Amtskirche, die katholische Kirche mit dem Papst an ihrer Spitze. 



Kampf um den rechten Glauben, ein Kampf auf Leben und Tod
                                 Bildquelle: zeit.de


Die Macht des Papstes (teilweise persönlich, vielfach als Statthalter von Amt und Kurie in einer Kontinuität, die es zulässt, die Amtsträger in der knappen Darstellung durchwegs als "der Papst" zu bezeichnen) ist heute überschaubar. Der Vatikan ist geschrumpft, wenig ist übrig vom einstigen geopolitischen Machtfaktor des "Patrimonium Petri", das noch vor 500 Jahren in der Zeit seiner größten Ausdehnung ganz Mittelitalien umfasste, ein Gebiet, etwa 1,5-mal so groß wie die Schweiz! Der Papst war ein Global Player. Er machte Politik, die von entscheidender Bedeutung für Italien war, welches wiederum für die Kaiserwürde unabdingbar war. Und selbst über Italien, ja über die geographischen Grenzen Europas hinaus war das Wort des Papstes zu Krieg und Frieden ein Faktor. Gewiefte Schachzüge, mancher Betrug - denken wir hier nur an die angebliche Konstantinische Schenkung - sorgten für eine Stellung, die die Ursprünge der Christenheit in Vergessenheit geraten ließen.


Der Kirchenstaat 1748: noch groß, aber militärisch, politisch und wirtschaftlich bereits geschwächt  Bildquelle: diercke.de




Nicht erst die Ausformung in Gold und Purpur ließ Widerspruch aufkommen, bereits der Beginn des Christentums war geprägt von Differenzen. Ja, galt doch manchen Jesus Christus auch noch als so etwas wie ein Reformer des Judentums. In der römischen Antike galten Christen zu Beginn Außenstehenden teilweise noch als jüdische Sekte. Doch mit der Konstitution als Christen, d. h. auch als Nichtjuden, galt nicht mehr die Toleranz als religio licita (dies änderte sich erst 311 n. Chr. mit dem Toleranzedikt des Galerius). Die Christen waren Outlaws geworden, stellten sich neben das römische Gemeinwesen. Es muss eine Zeit des Zusammenhalts gewesen sein, im Urchristentum und im frühen Christentum, als man den Gottesdienst im Untergrund feiern musste, und sich mit geheimen Zeichen zu erkennen gab. Möchte man jedenfalls meinen.

Bereits am Anfang stand der Konflikt in der Stellung zur jüdischen Tradition. Nach Jesu Kreuzigung scheinen nahe Verwandte des Messias die Führung der Jerusalemer Christen übernommen zu haben. Dies war "der Bruder des Herrn" Jakobus sowie, nach dessen Steinigung, Simeon, dessen Vater Klopas wohl der Bruder von Josef war, demnach also der "Onkel" von Jesus. Die ersten beiden Bischöfe Jerusalems stammten also aus der Verwandtschaft (oder auch nicht ...) Jesu, sollten demnach ein gewisses Naheverhältnis zu ihm gehabt haben und vertraten als "judaistische" Christen eine stärker im Judentum verwurzelte Haltung als sie uns heute vertraut ist. So galt die rituelle Beschneidung als zwingend nötig, während die "hellenistischen" Christen davon abgelassen haben und die Religion der Erlösung den Heiden geöffnet haben. Paulus sollte dafür zuständig sein.

"Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht, ist es doch Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden, sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen." (Römer 1,16)


Paulus - Der erste Ketzer?


Wie schon der Begriff Ketzer ein wenig Provokation beinhaltet, so mag die Nennung des Namen Paulus in diesem Zusammenhang noch mehr überraschen. Er, der Bekehrte, er, der Ausformer des Christentums, der Missionar und Apostel? Doch erinnern wir uns, Ketzer sollte hier nicht wertend sein.


Pieter Bruegel d. Ä., Die Bekehrung Pauli. Bildquelle: kunst-fuer-alle.de



Gehen wir davon aus, dass die Haltung, dass Jesus der Erlöser aller Gläubigen ist, so wird dies in der bestehenden judaistischen Christengemeinde ursprünglich nicht mehrheitsfähig gewesen sein. Es öffnete aber Sympathisanten die Tür, vor allem den männlichen, die von der Beschneidung bisher abgeschreckt worden sind. 

Es war ein theologisch großer Schritt, der bisher in den Publikationen, meines Wissens nach, nie so gesehen worden ist. Ja, es war eine Änderung, wie zugegeben wird. Doch war es eine größere Wende als eine Forderung nach Abendmahl in beiderlei Gestalt (Utraquismus), wie die Hussiten fordern sollten (von Papst Benedikt XVI. übrigens ausdrücklich empfohlen). 

Die jüdischen Gesetze müssen nicht eingehalten werden, sondern der Glaube an den auferstanden Jesus führt zur Erlösung. Darauf folgt, dass auch Heiden der Weg offen steht. Das Liebesgebot Jesu ersetzt die rituellen Gesetze. Mitunter wird behauptet, Paulus habe die Frohe Botschaft mutwillig nach seiner Sicht der Dinge verändert. Doch gerade hier sehen wir anhand zweier Stellen, dass er auf dem Boden der Lehre Jesu steht:

Nicht das, was durch den Mund in den Menschen hineinkommt, macht ihn unrein, sondern was aus dem Mund des Menschen herauskommt, das macht ihn unrein. (Mt 15,11)

Und er sprach zu ihnen: Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur. Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden. (Mk 16,15 f.)

In dieser Sichtweise, dass Ketzerei sich nicht zwangsweise als finaler Flammentod zeigt, dass wir hier auch nicht nur jene religiösen Konflikte betrachten, die uns stets präsentiert werden, wollen wir versuchen, gemäß der Definition zu Beginn des Beitrags, auch jene Konfrontationen in aller Kürze herauszuarbeiten, die genauso maßgeblich sind. Dazu mussten wir tatsächlich bis an die Anfänge des christlichen Glaubens zurückblicken.

Es ist kein geläufiges Thema, es mag abwegig erscheinen. Doch woran liegt es, dass dieses große Bewandtnis zum Themenkreis der Häresie nie genannt wird? Im Sinne von "Geschichte schreibt der Sieger": Es war eine Häresie, die sich durchgesetzt hat!



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen